4. Etappe
Buongiorno und herzlich willkommen zur vierten und damit letzten Etappe des Giro d’Abruzzo! Mit seinem gestrigen Etappensieg hinauf nach Prati di Tivo konnte Remco Evenepoel (LTK) das Leadertrikot übernehmen und mit dem 16 Sekunden zurückliegenden Alexey Lutsenko (AST) befindet sich auch nur noch ein Fahrer so wirklich in Schlagdistanz, zumindest wenn man von einem direkten Favoritenkampf ausgeht und nicht noch eine Gruppe alles durcheinanderwirbelt. Ein anspruchsvolles, weil ständig auf und ab führendes Profil für die finalen 173 Kilometern von Montorio al Vomano nach L’Aquila ließ dahingehend zumindest einige Szenarien und taktische Optionen offen.
Der Kampf um die Beteiligung an der Ausreißergruppe des Tages war dann auch direkt mal der intensivste während dieser Rundfahrt, immer wieder lösten sich Formationen, die aber entweder auf erbitterten Widerstand im Feld stießen oder in sich nicht so richtig harmonierten und dadurch jeweils wieder zurückgeholt wurden. Entschlossen gegen größere Gruppen fuhren vor allem Trek und Astana, aber auch andere Mannschaften setzten konsequent nach, wenn etwa ihr Mann einen Sprung verpasst hatte oder bestimmte, nicht erwünschte Fahrer vor dem Feld fuhren. Auch Fahrer aus den Top20 der Gesamtwertung wie Bou (VBF), Rivera (TNN), Pernsteiner (VBF) und de Bod (COF) versuchten ihr Glück, schafften den entscheidenden Move aber jeweils nicht – ebenso wenig wie zum Beispiel Brozyna (COR), Frigo (Q36), Fiorelli (VBF), Vader (AST), Raccani (UAD), Tolio (UAD), Gregaard (UXM), Kärsten (IW2) oder Bais (PTK), die wir zwischenzeitlich alle mal vorne sahen.
Stattdessen lösten sich fünf Fahrer, darunter zur Freude vieler Fans vier Italiener mit Kevin Colleoni (Q36), Luca Covili (UAD), Alessandro Fancellu (PTK) und Samuele Zoccarato (IPT). Ergänzt wurden sie vom Australier Sebastian Berwick (TNN). Das Quintett harmonierte gut, während dahinter weiterhin vor allem Astana und Trek zunächst abriegelten und dann auch die Verantwortung in der Nachführarbeit übernahmen. So spielte sich die Rennsituation erstmal ein über weite Teile des Tages, sodass zumindest schon recht klar war, dass die beiden Bergwertungen des Tages zwischen den Ausreißern entschieden würden: Die zweite davon mit der Spezialkategorie versehen und 20 Punkte einbringend, sodass man das Klassement ohne Weiteres noch komplett umwerfen konnte. Da waren vorne doch sicher alle heiß, diese seltene Gelegenheit zu nutzen? Von wegen: Nur Samuele Zoccarato zeigte ein wirkliches Interesse an beiden Abnahmen und dürfte sich selbst gewundert haben, wie leicht es ist, ein Bergtrikot einer Rundfahrt zu gewinnen, denn das tat er hiermit.
Noch weniger interessant war nur die folgende Sprintwertung, die die Spitzenreiter einfach überrollten – aber der Reihe nach. Denn Zoccaratos Trikotgewinn war nicht das einzig Erwähnenswerte aus den Steigungen nach Forca di Penne und Castel del Monte: Im ersten Anstieg hatte sich das VF-Bardiani-Duo Bou (VBF) und Berhe (VBF) gelöst, im zweiten zusätzlich Eiking (UXM), ohne dass dies eine direkte Reaktion der Klassementkonkurrenz ausgelöst hätte. Erst als vor der zweiten Bergwertung auch noch Michael Storer (COF) antrat, wurde es bunter, denn dem Australier folgte Ciccone (IPT) und der hatte nun endgültig alle mit am Hinterrad, die hier etwas auf sich hielten. Schade für Eiking, dessen Aktion damit neutralisiert wurde, während die beiden Bardianis noch eine Lücke verteidigen und in der direkten Folge auch erstmal wieder ausbauen konnten.
Gute 25 Kilometer vor dem Ziel gelang es Bou und Berhe, den Abstand zur frühen Gruppe final zu überbrücken, sodass nun sieben Fahrer an der Spitze des Rennens lagen – mit zwei Minuten Vorsprung auf das Favoritenfeld. Die frühen Helfer waren dort schon verschlissen, aber mit Fahrern wie Vader (AST), Zimmermann (LTK) und Cattaneo (LTK) hatten die dominanten Teams hier auch für das folgende flachere Stück noch sehr qualifiziertes Personal aufzubieten: Vor allem der Italiener, selbst 15. der Gesamtwertung, machte da einen richtig starken Job und holte die Spitzengruppe bis zur knackigen Welle vier Kilometer vor dem Ziel auf 40 Sekunden heran.
Da war also noch alles möglich, aber in dieser unscheinbaren Steigung zerfiel das Ganze jetzt nochmal beträchtlich: Vorne hatten mit Colleoni und Zoccarato die ersten Fahrer Probleme, während hinten Neilson Powless (LTK) attackierte. Der US-Amerikaner machte kurz eine Lücke auf, dann aber trat auch Alexey Lutsenko (AST) an und jetzt ging es rund. Evenepoel musste persönlich reagieren und tat das auch, darüber hinaus nur Vauquelin (UAD) und eben Powless direkt am Hinterrad der beiden großen Kontrahenten. Nach wenigen Sekunden folgten dann die anderen Klassementfahrer, die jetzt hier einer nach dem anderen um den Anschluss kämpften.
Lutsenko war nun offenbar heiß auf den Etappensieg und auch Vauquelin zog mit durch – die beiden Lidl-Trek-Fahrer waren keine große Hilfe, aber wurden erstmal mitgenommen. Der Abstand nach vorne sank dadurch jetzt zügig, da man hinten einfach mehr Punch hatte. So nahm man an der Spitze noch gut 15 Sekunden Vorsprung mit in die kleine Schlusssteigung, würde das reichen? Nicht für Berwick, der als erstes zurückfiel, die anderen vier noch beisammen, wobei Berhe jetzt für Bou einspannte. Aber von hinten flogen die großen Namen heran, das war rein optisch schon ein riesiger Unterschied, sodass man hier auf geringer Distanz doch rasch Boden gut machte. Powless dann nochmal mit dem Versuch einer Attacke auf den Tagessieg – mit der er zwar seine Begleiter nicht final loswurde, aber das Todesurteil für die Ausreißer unterzeichnete, wenn man es so martialisch ausdrücken will.
Lutsenko flog dann als erster vorbei, Remco am Hinterrad, die beiden stärksten Fahrer der Rundfahrt auch heute im späten Duell um den Tagessieg – diesmal mit dem besseren Ausgang für den Kasachen! Nach zwei zweiten Plätzen kann Alexey Lutsenko die Rundfahrt tatsächlich siegreich beenden und die harte Arbeit seines Teams belohnen. Das gilt auch für Remco Evenepoel insoweit, als dass zwar nicht der zweite Tagessieg, aber letztlich ein souveränes Absichern des Gesamterfolges zu Buche steht. Dahinter Vauquelin und Powless noch auf drei und vier, womit beide im Gesamtklassement nochmal klettern: Der Franzose aufgrund der engen Ausgangslage sogar signifikant, springt hier mindestens auf Platz vier, vielleicht sogar aufs Podium, je nachdem, wann Ulissi (PTK) reinkommen würde.
Fünfter wurde dann erstmal Bou, der sich als letzter Fahrer aus der zwischenzeitlich vorausfahrenden Gruppe behauptete, dann Storer und schließlich eben besagter Ulissi – Abstand nach vorne vier Sekunden, sodass die Platzsumme zwischen diesem und Vauquelin entscheiden müsste, und dies sollte zugunsten des Italieners ausgehen. Wahrscheinlich kann er Bou und Storer danken, sonst wäre er vielleicht die eine Sekunde langsamer gewertet worden. In Ulissis Schlepptau waren dann auch die anderen Klassementfahrer unterwegs, wobei die Top10 in dieser Reihenfolge von Eiking, Ciccone und Caruso komplettiert wurden. Die Auswirkungen auf die vorderen Ränge des Gesamtklassements wurden schon skizziert, bis auf Vauquelins Sprung dürfte sich da nichts mehr getan haben. Die Punktewertung geht an Tagessieger Lutsenko, die Bergwertung wie geschildert an Zoccarato. Ich bedanke mich für das Interesse am Giro d’Abruzzo und melde mich schon bald aus der Türkei wieder!
Hier seit 20. Februar 2006.